11. NATIONALPARK BIALOWIEZA, POLEN

Größe:   105 km2 

Gegründet:   1932

Besucht:   Mai 2023

Über 800 Wisente leben im polnischen Teil des Bialowieza-Waldes (Foto: Karin Schrenk)








Charakteristik:  Der Wald von Bialowieza bildet den letzten Rest jener Tieflandurwälder, die einst den gesamten Osten Polens bis weit nach Russland hinein bedeckten.  Ein kleiner Teil davon ist streng geschützter Nationalpark , wo ein dichter, märchenhafter Urwald die Heimat seltener Tierarten darstellt: Wisent, Elch und Wolf sind die populärsten davon. Der weitaus größte Teil des Urwaldes erstreckt sich bis tief hinter die belarussische Grenze, wo sich übergangslos ein deutlich ausgedehnterer Nationalpark befindet. Und hier wird es problematisch: Seit Mitte 2022 trennt ein von Polen errichteter, 5,5 m hoher Grenzzaun aus Stahl den Bialowieza-Urwald in zwei Teile. Die Wildtier-Populationen können die Grenze nicht mehr passieren, der genetische Austausch ist komplett unterbunden. Das angestrebte Ziel, die Zuwanderung arabischer und afrikanischer Flüchtlinge über die Grenze zu Weißrussland zu verhindern,  gelingt hingegen nur teilweise. Täglich werden bis zu zehn erschöpfte Menschen nach Überwindung des Zauns auf polnischer Seite aufgegriffen, manchmal auch mitten im Urwald durch Mitarbeiter des Nationalparks.

Meine Bewertung:  Größe: 5  Highlights: 10  Bedeutung: Wildnis: Service: Öffis: 5

Bewertung:  7,5


Mein Nationalpark (1) : Mai 2023
In der Kernzone: Die Kernzone des Nationalparks, und davon auch nur ein kleiner Teil, darf nur im Rahmen einer Führung mit einem lizensierten Guide betreten werden. Vor der Pandemie, der 10-monatigen Sperre der gesamten Region für Besucher und der darauf folgenden Errichtung des Grenzzauns wäre eine Buchung vor Ort ohne lange Wartezeit kaum möglich gewesen. So aber ist der Tourismus hier völlig zum Erliegen gekommen und wir können für denselben Tag sofort eine Tour bekommen. Zu viert folgen wir unserem Guide Irenäusz am Zugangsweg zur streng geschützten Zone.  Ein kleines E-Fahrzeug des Nationalparks kommt uns entgegen und Karin entdeckt als Passagier einen sichtlich erschöpften Flüchtling, der es irgendwie über den Zaun geschafft hat. Irenäusz bestätigt uns später, dass meist nur diejenigen aufgegriffen werden, die sich in schlechtem Zustand befinden. Die übrigen werden gewöhnlich von Schleppern direkt im Wald abgeholt.

Der Vorfall hinterlässt zum Auftakt einen etwas schalen Beigeschmack. Wir betreten die innere Zone des Parks durch ein großes Holztor, das bereits 1932 bei der Gründung des Nationalparks errichtet wurde. Schilder weisen darauf hin, dass der Weiterweg nur mit Guide gestattet ist und das umliegende Areal mit Kameras überwacht wird. 
Ab hier beginnt der unberührte Urwald. Dichte, verschlungene Vegetation mit zahleichen umgestürzten Bäumen säumt den Weg. Bald nach dem Betreten werden wir tatsächlich kontrolliert. Eine Frau in Nationalpark-Uniform lässt sich vom Guide die abgestempelte Liste mit dem Namen aller Teilnehmer zeigen. Der Schutz dieses Areals wird offensichtlich sehr streng gehandhabt. Es gibt große Bereiche im Kerngebiet, wo auch Besuche von Mitarbeitern des Nationalparks zu wissenschaftlichen Zwecken nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung möglich sind. 
Foto: Karin Schrenk
Hier ist außer der Sicherung und dem Freihalten des Weges keinerlei Beeinflussung des Waldes erlaubt. Alle diese Arbeiten, etwa das Zerteilen von über den Weg gestürzten Bäumen, werden ohne Maschinen ausschließlich mit Sägen und Äxten durchgeführt.
Kranke Bäume werden hingegen nicht entfernt. Zwar gibt es hier ebenfalls, vor allem bei Fichten, durch den Klimawandel verursachten Borkenkäferbefall, die hohe Diversität verhindert jedoch die rasante Ausbreitung des Käfers und erhält den Wald gesund.
 Unser engagierter Guide erklärt viele Einzelheiten dieses Ökosystems, beispielsweise die faszinierende Tatsache, dass theoretisch ein Baum nahezu unbegrenzt leben kann: Es gibt hier Eichen mit einem Alter von über 500 Jahren. Wenn dieser Baum dann infolge des Alters oder eines Sturms umstürzt, wächst sehr oft ein Jungbaum aus dem liegenden Stamm.  Es ist aber kein neuer Baum, sondern derselbe Organismus, der wieder wachsen und ein mächtiger, alter Baumriese werden kann. Theoretisch kann sich dieser Vorgang unbegrenzt oft wiederholen. Auffallend sind die vielen, oft farbenprächtigen Baumschwämme. Einer davon ist essbar und wird "chicken of the forest" genannt, einerseits wegen seiner Färbung und andererseits, weil sein Geschmack angeblich ein wenig an Huhn erinnert.
Chicken of the forest (Foto: Karin Schrenk)




















Zur Tierbeobachtung eignet sich die Kernzone des Nationalparks nur in geringem Maß: Der Wald 
hier ist zu dicht. Alle spektakulären Tierarten des Nationalparks, auch Elche und Wisente, kommen zwar überall vor, man würde sie aber bereits in wenigen dutzend Metern Entfernung nicht mehr bemerken.  
Foto: Karin Schrenk
Viele Vögel, vor allem Spechte, denen das reichliche Totholz zugute kommt, sind zu hören und zu sehen. Gegen Ende des über dreistündigen Rundgangs entdecken wir eine sich entspannt neben dem Weg sonnende Ringelnatter. Unser Guide erzählt uns noch von der Wolfspopulation in Bialowieza. Der Bestand ist zwar grundsätzlich stabil, aber bisher war wie bei den anderen Tierarten auch der genetische Austausch zwischen dem polnischen und dem belarussischen Teil möglich. Das ist nun Vergangenheit - durch den Zaun als rigorose Außengrenze der EU.


Foto: Karin Schrenk
















Der Europäische Wisent (bison bonasus)

Einzelner Wisentbulle in der Morgendämmerung













Weltweit existieren zwei Arten des Bisons - der amerikanische Bison und der Europäische Wisent (auch europäischer Bison). Der Wisent kam seit 10000 Jahren bis in historische Zeit beinahe im gesamten europäischen Raum wildlebend vor. Abholzungen und Jagd führten dazu, dass gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Zentraleuropa nur mehr eine kleine Population im Urwald von Biolawieza existierte. Die Wirren und die Hungersnot nach Ende des ersten Weltkrieges veranlassten die Menschen der Region zur Jagd auf die wenigen noch freilebenden Tiere. Der letzte Wisent von Biolawieza wurde um 1923 erlegt. Glücklicherweise wurden etliche Tiere in den Jahren davor an Zoos und Wildgehege weitergegeben. Aus diesem Bestand erfolgte ab der Zwischenkriegszeit und verstärkt ab 1952 eine erfolgreiche Wiederansiedlung im angestammten Lebensraum. Angeblich bildeten lediglich 12 Tiere den Grundstock der heutigen Population. 
Wisentspuren (Foto: Karin Schrenk)
Erwachsene Bullen können an die 800 kg Körpergewicht und eine Widerristhöhe von 1,88 m erreichen, Wisentkühe sind deutlich leichter und kleiner. Bisons sind Herdentiere., die Herde wird immer von einer Leitkuh angeführt.  Ältere Bullen leben allerdings zumeist einzelgängerisch. 
Im gesamten polnischen Waldgebiet von Biolawieza leben nach Information unseres Guides derzeit 829 Tiere, davon sind etwa 100 mit einem Ortungschip versehen. Sie kommen im dichten Wald genauso vor wie auf Lichtungen und manchmal findet man sie auch überraschend inmitten kleiner Dörfer zwischen den Gebäuden. In der warmen Jahreszeit besteht die einzige realistische Chance zur Beobachtung in aller Herrgottsfrühe bei Sonnenaufgang (was auf diesem Breitengrad zu dieser Jahreszeit 4 h morgens bedeutet) auf Lichtungen und Wiesengelände. Später suchen sie im dichten Wald Schutz vor der Hitze und sind praktisch nicht mehr auffindbar. Ein guter Zeitpunkt zur Beobachtung dieser äußerst beeindruckenden Tiere ist der Winter. Dann zwingt sie die Nahrungsknappheit im Wald dazu, sich vermehrt im offenen Gelände aufzuhalten.
Die Hauptsorge der Nationalparkverwaltung gilt der geringen genetische Vielfalt, denn alle heute lebenden Tiere stammen von lediglich 12 Exemplaren ab. Das ist auch der Grund, warum die Wisente im Winter mit Zusatzfutter versorgt werden. Nach Einschätzung unseres Guides würde der Bestand bei völliger Nichteinmischung stagnieren. Und das ist für die Arterhaltung zu wenig. Langfristig muss die Anzahl der Tiere deutlich wachsen, um die genetische Variabilität zu erhöhen. 

Mein Nationalpark (2) : Mai 2023: 
Dem Wisent auf der Spur:  Kurz nach 3 h morgens ist es noch dunkel, als uns Irenäusz mit dem Auto vom Haus abholt. Aber bereits eine halbe Stunde später ahnt man die beginnende Morgendämmerung und da sehen wir schon unseren ersten Wisent! Irenäusz gibt sein Wärmebildfernrohr mit dem Auftrag an uns weiter, nach Bisons auf den Wiesen Ausschau zu halten, während er den Wagen im Schritttempo über die Feldwege steuert. Dichter Frühnebel wabert im ersten Morgenlicht über einer Lichtung und dazwischen ist deutlich der Umriss eines einzelnen großen Bullen zu sehen. Gemächlich zupft er am Gras und an Sträuchern herum. Im Fernrohr ist er trotz des Zwielichts gut zu beobachten. Unser Guide erteilt die Erlaubnis, uns vorsichtig noch einige weitere Meter zu nähern. Die Fluchtdistanz der Tiere liegt zwischen 50 und 100 Metern. Dieser hier scheint uns nicht zu bemerken oder wir sind ihm egal. Ganz langsam frisst er sich um eine Ecke und ist schließlich verschwunden. Irenäusz ist die Erleichterung sichtlich anzumerken. Zu dieser Jahreszeit kann es nämlich durchaus vorkommen, auf (teuren) Wisent-Exkursionen völlig leer auszugehen - der absolute "worst case" für einen Guide.
Foto: Karin Schrenk












 
Eine Stunde später haben wir nochmals Glück. Am Waldrand in der Nähe eines kleinen Bauerndorfes finden wir zwei weitere Exemplare. Der Guide schätzt einen der beiden als jungen Bullen und den anderen als schon recht alt ein. Nun ist es bereits hell und die Bedingungen zur Beobachtung mit dem Fernglas sind ausgezeichnet. Die mächtigen Wisente geben vor dem nebelverhangenen Wald ein einmaliges Bild ab. Wir verweilen hier fast eine Dreiviertelstunde. Die für 6 Stunden (!) anberaumte Tour ist erst zur Hälfte vorbei. Obwohl nach einer Weile jedem klar ist, dass wir heute keine weiteren Bisons sehen werden, zieht Irenäusz das Programm durch. Es geht über kleine Strassen und Feldwege westlich und nördlich des Nationalparks, ständig durch ausgedehnte Waldgebiete zu kleinen Seen, Feuchtgebieten und Beobachtungstürmen. Wir sehen Hirsche, Wildgänse und einen großen Adler, der in nur 30 m Entfernung auf einem Baumstumpf hockt. In Erinnerung werden aber vor allem die mächtigen Wisente im Frühnebel des ersten Tageslichts bleiben.















Das Gebiet:  Der Wald von Biolawieza erstreckt sich über eine Gesamtfläche von fast 1500 km2
beiderseits der Grenze zwischen Polen und Weißrussland in Seehöhen von 150 bis 170 m über dem Meeresspiegel. 620 km2 liegen auf polnischer Seite und davon wiederum sind 105 km2 als "Nationalpark Biolawieza" gemäß IUCN-Kategorie 2 geschützt. Teile davon zählen zum UNESCO Weltnaturerbe. Die Kernzone des Nationalparks (etwa 55 km2) darf nur in einem kleinen Bereich und im Rahmen einer geführten Wanderung von Außenstehenden betreten werden. Aber auch die Wälder außerhalb der Nationalpark-Begrenzung sind großteils naturnah erhalten und wirken vor allem in der Nähe der weißrussischen Grenze wild und unzugänglich.  Die Bewahrung des letzten europäischen Tiefland-Urwalds haben wir hauptsächlich den polnischen Königen zu verdanken, die das Gebiet jahrhundertelang als privilegiertes Jagdgebiet nutzten.  Im Jahr 2016 entschied die polnische Regierung, durch eine Gesetzesänderung die Abholzung von 188.000 Kubikmetern Holz zu erlauben. Erst die Androhung eines hohen Zwanggeldes durch die Europäische Union führte zur Rücknahme dieser fatalen Entscheidung. 

Flora und Fauna: Über 3500 Pilzarten und 5500 Pflanzenarten wurden bisher im Nationalpark nachgewiesen. Fichten und Föhren sind die vorherrschenden Nadelbäume, dazwischen wachsen Linden und uralte, mächtige Eichen. Einige davon sind Naturdenkmäler und tragen eigene Namen - der Guide zeigte uns im Kernbereich die sogenannte "Zareneiche". 
Die Stars der Tierwelt sind unbestritten die Wisente, die weit über den Nationalpark hinaus im gesamten Bialowieza-Wald leben. Es gibt aber auch den Elch als größte Hirschart, daneben kommen viele Rothirsche, Rehe und Wildschweine vor. Wölfe und Luchse sind die wichtigsten Raubtiere. Im Wald hört man das Klopfen vieler Spechte, und Bialowieza ist auch die Heimat des Schlangenadlers.

Service und öffentliche Anbindung: 
Holzhaus der Region
Der Ort Biowalieza hat über 2000 Einwohner und bietet ausreichend Infrastruktur in Form von kleinen Supermärkten, Cafes und einigen Restaurants. Viele der Holzhäuser werden als Ferienhäuser angeboten, im Winter ist die Auswahl allerdings deutlich geringer. Verschiedene Agenturen im Ortszentrum und auch das Nationalparkzentrum bieten geführte Wanderugen in den Kernbereich und spezielle Wisent-Beobachtungstouren an.
Letztere sind nicht ganz billig, bieten jedoch die einfachste Möglichkeit, wildlebende Exemplare zu sehen. Die öffentliche Anreise nach Biowalieza funktioniert recht gut. Von Warschau fährt man mit der Bahn in das Städtchen Hajnovka, wo einige Busse täglich zum Nationalpark starten. Wenn man sich selbständig auf die Suche nach Tieren machen möchte, ist durch die enorme Weitläufigkeit des Waldgebietes vermutlich ein gemietetes Fahrzeug erforderlich. 
Vor der aktuellen Krise in der Ukraine und der Abschottung der EU-Außengrenze war es möglich, bei Bialowieza einen für Fußgänger und Radfahrer offenen Grenzübergang visumfrei zu benützen, um auch den belarussischen Teil des Urwaldes kennenzulernen. Leider wurde zugleich mit der Errichtung des Grenzzauns dieser Übergang auf unbestimmte Zeit geschlossen.


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