41. NATIONALPARK GENNARGENTU UND GOLFO DI ORISEI , SARDINIEN, ITALIEN

 










Größe:  730 km2         Gegründet:  1998         Besucht:  Mai 2025

Der „Supramonte“ im äußersten Norden des Gebiets wird manchmal auch als „sardische Dolomiten“ bezeichnet.
Karsttal an der Punta Corrasi

Auch der Golfo di Orisei hat seinen Anteil am Nationalpark
Charakteristik:  Der stark gegliederte Nationalpark umfasst einsame Gebirgslandschaften im Zentrum Sardiniens sowie den weit geschwungenen „Golfo di Orisei“ an der mittleren Ostküste. Innerhalb des Gebietes befindet sich eine Vielzahl unterschiedlicher Landschaften: Das wild zerklüftete Supramonte-Gebirge, karge Karsthochflächen, spektakuläre Schluchten und Bilderbuchstrände zwischen Uferfelsen. 


Das Berghotel S Enis Monte Maccione ist ein perfekter Stützpunkt für Wanderungen im Supramonte - Gebiet
Mein Nationalpark: (Mai 2025):    Zu einem Nationalpark - Besuch gehört idealerweise auch der passende Stützpunkt dazu. Und hier findet sich das perfekte Beispiel. Dicht unter den spektakulären Felswänden des Supramonte, inmitten eines herrlichen Steineichenwaldes, liegt das Hotel S`Enis  Monte Maccione in 700 m Seehöhe. Von der Terrasse bieten sich Fernblicke in das Zentrum der Insel, zur Provinzhauptstadt Nuoro und zu den zahlreichen Bergdörfern ringsum. Das Haus war einst ein Kindererholungsheim. Heute wird es durch eine Kooperative geführt, die in den 1980ern von einer Gruppe junger Arbeitsloser gegründet wurde, um durch die Schaffung einiger Arbeitsplätze weiter in dieser strukturschwachen Region leben zu können. 
Der Wanderweg zur „Punta Corrasi“ führt vom Hotel durch den Eichenwald und quert anschließend am Fuß der Felsen nach Westen. In einem der steilen Serpentinen begegnet uns
ein einsamer Reiter, dann ist das Hochplateau des Supramonte erreicht. Kantige Felsberge wechseln
Auf der Hochfläche des Supramonte
mit geneigten, geröllbedeckten Hängen ab. Das Supramonte bildet den nördlichsten Teil des Nationalparks.  Die hellen Kalkplatten sind großteils vegetationslos, nur vereinzeltes Gebüsch bedeckt die Felsen. Keine Lebenswelt für Menschen, möchte man meinen. Und doch existieren irgendwo hier oben die Überreste einer prähistorischen Siedlung: Das Nuraghendorf Tiscali aus der Bronzezeit liegt 
Tiscali (Bild: Internet)
in einer Felsdoline ohne jeglichen Zugang zu Wasser. 
Als „Nuraghen“ werden in Sardinien prähistorische Steintürme bezeichnet, nach ihnen ist eine ganze Epoche benannt: Die „Nuraghenkultur“. Über 7000 dieser Bauten soll es auf der Insel geben. In Tiscali  bestimmten die Archäologen die Ruinen von etwa siebzig runden Steinhütten aus der Zeit von 1500 bis 800 v.Chr. Was die Menschen einst dazu bewog, sich in dieser extremen Umwelt anzusiedeln, ist allerdings nach wie vor ein Rätsel.  Der Besuch dieser schwer auffindbaren, mysteriösen Stätte ist nur im Rahmen einer geführten Tour sinnvoll. 
Gerhard und ich steigen indessen über Blöcke und geneigte Felsplatten weiter in Richtung Gipfel. Kurz davor weidet eine große Schafherde die wenigen Gräser ab. Die „Punta Corrasi“ ist mit 1463 m die höchste Erhebung des Supramonte, und die 
 Aussicht ist großartig. Ganz im Osten erahnt man das Meer am Golfo di Orisei, im Süden sind im Dunst weitere Berge erkennbar. Dort liegt auch der höchste Gipfel Sardiniens, die 1834 m hohe Punta La Marmora.  Den Gipfel teilen wir uns mit zwei jungen Frauen. Wenig überraschend sprechen sie Kärntner Dialekt. Bisher haben wir auf Sardinien kaum deutsche Reisende getroffen, dafür aber eine Menge Österreicher. Unser Weiterweg ist als Rundwanderung gedacht, das Punta-Corrasi-Massiv soll beim Abstieg in weitem Bogen umrundet werden. Südlich des Gipfels wird das Gelände durch kleine Karsttäler mit wuchernder Blumenpracht geprägt, dann fällt der abwechslungsreiche Pfad allmählich ab und dreht sich beim Wendepunkt „Ishalla e Marras“ wieder nach Norden. 
Ishalla  u Marras
Bevor wir an der Corrasi-Westflanke wieder in den dichten Eichenwald eintauchen, sehen wir eine Zeit lang das runde Häusermeer eines großen Dorfes vor uns: Orgosolo. In Sardinien besitzt der Ort eine lokale Berühmtheit, auch in diverse Reiseführer hat er es geschafft. Ursache dafür ist eine hier lokalisierte jahrhundertealte Banditenkultur, die sich wahrscheinlich aus Widerstandsgruppen gegen die zahlreichen Besatzermächte gebildet hat. Beispielsweise unternahmen 500 Ortsbewohner (!) im Jahr 1894 einen Plünderungs-Feldzug gegen den benachbarten Ort Tortoli und erbeuteten das Vermögen eines Großgrundbesitzers. Solche Raubzüge sardischer Bergbewohner sind als „Bardanas“ seit der Römerzeit belegt. Der italienische Anthropologe und Soziologe Alfredo Niceforo ging in einem fragwürdigen sozialdarwinistischen Ansatz soweit, diese Raubzüge als „In der Natur der Sarden
Murales in Orgosolo (Bild: Internet)
liegend“ zu bezeichnen. Orgosolo ist noch für eine andere Sache berühmt: Hunderte von naiven Wandmalereien zieren die Häuser und Mauern des Dorfes: Die sogenannten „Murales“. sind deutlich jüngeren Datums als die Banditenkultur. Der kommunistische Zeichenlehrer Francesco del Casino begann 1975 mit seinen Schülern, die Hauswände des Dorfes mit Szenen aus dem Alltagsleben sowie mit politischen Motiven zu bemalen. Heute werden Touristenbusse aus Olbia und Nuoro in das Dorf gekarrt, der berühmt gewordenen Bilder wegen. Streitlustig sind die Einwohner Orgosolos aber bis heute geblieben. 1969 verhinderten sie durch Proteste und Blockaden einen NATO-Stützpunkt und bis heute gibt es auch massiven Widerstand gegen eine Ausweitung des bestehenden Nationalparks im westlichen Gennargentu. 
Viele felsige Buchten am Golf von Orisei sind nur zu Fuß erreichbar

Am folgenden Tag unternimmt Gerhard einen Ausflug nach Cagliari, ich besuche stattdessen den Golfo di Orisei an der Ostküste. Von der Bushaltestelle in Cala Gollone ist ein langer Fußmarsch entlang der Küste bis zur Grenze des Nationalparks erforderlich. Eigentlich ist der Wanderweg zur Bucht Cala Luna mein Ziel, der anfangs kurz durch eine Schlucht führt. Doch ich verpasse die schlecht markierte Abzweigung und wandere weiter in den wilden, sich verengenden Canyon hinein. An der ersten Kletterstelle werde ich erstmals stutzig, doch oberhalb setzt sich der schmale Pfad fort, er führt tiefer in die Schlucht hinein. 



Die 40 m hohen senkrechten Wände lassen oft nur einen schmalen Streifen des blauen Himmels frei. Über die nächste Kletterstelle hilft ein altes Halteseil. Längst ist mir klar, dass das nicht der richtige Weg zur Cala Luna sein kann, zumal mir seit einer Stunde keine Menschen mehr begegnet sind. Aber oft sind die ungeplanten Entdeckungen auch die schönsten. Vielfach gewunden zieht der Canyon weiter, zahlreiche Höhleneingänge liegen versteckt in den Felswänden. Als die Schlucht nur mehr einen halben Meter breit ist, folgen die  nächsten Kletterstellen. Ein Überhang mit herunterhängendem, arg zerschlissenen Halteseil ist dann mein Endpunkt. Beim Rückweg wird noch eine abzweigende Schlucht besucht, auch hier ein grandioses Schauspiel aus senkrechten Felswänden, verkrüppelten Bäumen und einem kleinen Wasserfall. Eindeutig ein „Verhauer“, aber dieser hat sich ausgezahlt. 
Der Canyon Codula Fuili beginnt am Tyrrhenischen Meer

Bewertung:

Größe:    8
Bedeutung/Naturschutz:    8
Highlights:    7
Wildnisfaktor:    7
Bedienung:    6
Öffis:    4

Meine Bewertung: 6 , 6

Steineichenwälder im Gennargntu - Gebirge
Das Gebiet:  Der Name „Gennargentu“ leitet sich vom Metall Silber ab (Argentu), dessen Erze einst im zentralen Teil des Gebirges gefördert wurde. Das Gennargentu-Gebirge ist um einiges größer als der namensgebende Nationalpark. Dieser umfasst nur den nördlichen Bereich, reicht aber dafür bis zur Küste des Golfo di Orosei im Osten und schützt das dortige Vorgebirge und die felsigen, noch unverbauten Ufer. Das Grundgestein Schiefer wird im Bereich des Parks zumeist von Kalksedimenten überlagert, wo zahlreiche Höhlen und Dolinen auftreten. Berühmt ist die riesige Kalkstein-Schlucht "Gorropu" mit über 100 m hohen Felswänden. Bis 1000 m Seehöhe wächst dichter, knorriger Eichenwald, auf den Hochebenen sind Gebirgsblumen und niederes Strauchwerk zu finden. Das Mufflon aus der Gattung der Wildschafe, das mittlerweile in vielen Gegenden Europas angesiedelt wurde, ist im sardischen Gebirge seit jeher heimisch. 
Am Golfo di Orosei liegen viele einsame Felsbuchten, die allesamt nur per Boot oder zu Fuß erreichbar sind. Einer der Strände im Nationalpark wurde 2025 zum schönsten Strand der Erde gewählt: Die von 140 m hohen Klippen umgebene Cala Goloritze in der Gemeinde Baunei.

Service und Öffis: Die Kooperative S Enis bei Oliena (coopenis.it) bietet nach Voranmeldung organisierte Wanderungen und Ausflüge zu den Höhepunkten der Region an. Die öffentliche Anreise erfolgt normalerweise so: Per Bahn in die toskanische Hafenstadt Livorno, weiter mit Nachtfähren der Reedereien Grimaldi oder Moby Lines nach Olbia auf Sardinien. Direkt vom dortigen Hafen bietet die sardische Gesellschaft ARST einige Busverbindungen in die Bezirkshauptstadt Nuoro und weiter nach Oliena am nördlichen Rand des Nationalparks an. Wenn man sich für das tolle S Enis Hotel als Stützpunkt entscheidet, kann man dessen Abholservice von Oliena in Anspruch nehmen. Die öffentlichen Verbindungen zu den Ausgangspunkten der vielen markierten Wanderwege sind leider sehr dünn gesät bis nicht vorhanden. Nach Cala Gollone am nördlichen und Arbatax am südlichen Ende des Golfo di Orisei fahren vereinzelte Busse ab Oliena. 

Der Ort Oliena vor den Felsen des Supramonte



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