16. NATIONALPARK GESÄUSE , ÖSTERREICH
NATIONALPARK GESÄUSE - Steiermark, Österreich
Größe: 121 km2 Gegründet: 2002 Besucht: Juli/August 2023
Die eindrucksvolle Parade senkrechter Nordwände vor der Haindlkarhütte: Planspitze, Hochtor, Haindlkarturm, Festkogel |
Charakteristik: Das Gesäuse ist eine der spektakulärsten Gebirgslandschaften Österreichs. Der Name leitet sich wahrscheinlich vom "Sausen und Brausen" des Enns - Flusses her, der in einer urtümlichen Schluchtstrecke das Gebirge in einen nördlichen und südlichen Teil trennt. Vor allem die Nordwände der südlichen Hauptgruppe lassen BergsteigerInnen-Herzen höher schlagen. Vom steilen, aber unschwierigen Steig über versicherte Klettersteige bis hin zu extremsten Kletterrouten jenseits des Schwierigkeits-Grades 9 - im Gesäuse findet sich alles. Nicht von ungefähr befand sich hier einer der Hauptschauplätze der klassischen "Wiener Bergsteigerschule" ab der 2. Hälfte des 19. bis zu den Dreißigern des 20. Jahrhunderts. Auch heute ist das Gesäuse noch Sehnsuchtsziel vieler bergbegeisterter Menschen, welche die gesäusetypischen langen Zustiegswege nicht scheuen. Der größte Teil des Gebirges wird seit 2002 als einer von sechs österreichischen Nationalparks streng geschützt. Denn vor allem ist das Gesäuse ein Naturparadies und Wildnisgebiet, das in Mitteleuropa seinesgleichen sucht.
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Geografisch gesehen liegt das Gesäuse buchstäblich "in Österreichs Mitte" |
Größe: 4 Bedeutung: 8 Highlights: 7 Wildnisfaktor: 7 Service: 8 Öffis: 7
Blick aus dem Haindlkar zum Großen Buchstein, dem höchsten Berg im nördlichen Gesäuse |
Überall in den Ostalpen und bevorzugt im Gesäuse wurden Erstbesteigungen durchgeführt, neue Durchstiege durch dramatische Wände gesucht und immer kühnere Routen erschlossen. Diese wurden dann eingehend in den Vereinszeitungen veröffentlicht. Eine neue Art von "Helden" war im Entstehen, und die meisten davon waren auch im Gesäuse erfolgreich. Die damalige mangelhafte Ausrüstung und die unzureichende Absicherung führte zu vielen tödlichen Unfällen, weshalb im kleinen Dorf Johnsbach sogar ein eigener Bergsteigerfriedhof errichtet wurde.
Einige Beispiele berühmter Gesäuse-Kletterer:
Gustav Jahn (1879 - 1919)
Wiener Landschaftsmaler (Genre: Gebirgslandschaften) und Kletterer
Erstbegehung u. a. Admonter Frauenmauer, Kleiner Buchstein, Tamischbachturm Nordwand, Festkogel-Nordwand
tödlich abgestürzt 1919 am Großen Ödstein im Gesäuse, begraben am Bergsteigerfriedhof in Johnsbach
Jurist und berühmter Alpinist, Präsident des Österr. Alpenklubs
Wahrscheinlich der erfolgreichste Erstbegeher im Gesäuse seiner Zeit. Kaum ein Berg dieser Gebirgsgruppe, wo er nicht mindestens eine Erstbegehung durchführte, zumeist mit seinem Seilpartner Thomas Maischberger: u. a. Admonter Reichenstein Nordostwand (galt lange als schwerste Tour des Gesäuses), Ödstein-Nordwand und vor allem seine berühmteste Route, die auch heute noch sehr oft geklettert wird: Hochtor Nordwand (Pfannl-Maischberger-Weg).
Bekannter jüdischer Bergsteiger der Zwischenkriegszeit. Unter anderem gelang ihm zusammen mit der Kernphysikerin Lisa Meitner 1933 die Erstdurchsteigung der Frauenmauer-Nordwestwand im Gesäuse.
Weiters: Hochzinödl - Südwestwand, Haindlkarturm-Westgipfel.
Und dann gab es leider auch noch diesen Herrn: Eduard Pichl (1872 - 1955) , Beamter und Bergsteiger. Pichl führte im Gesäuse viele Erstersteigungen durch, die berühmteste ist der Pichlweg durch die Planspitze-Nordwand, heute noch ein Klassiker im "leichten Fels" (Schwierigkeit: 3). Eduard Pichl stand früh im Bannkreis der Deutschnationalen Bewegung. Er zählte zu den Freunden des deutschnationalen Theoretikers Georg von Schönerer, zu dessen Bewunderern auch Adolf Hitler gehörte, und war fanatischer Antisemit. 1921 wurde Pichl Vorsitzender der Sektion Austria des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins, wo er bald danach die Anwendung des sogenannten "Arierparagraphen" erreichte. Alle jüdischen Mitglieder, insgesamt etwa ein Drittel, wurden ausgeschlossen. Anschließend setzte er diese Bestimmung auch bei anderen Sektionen und beim Gesamt-Alpenverein durch.
Die Wände von Hochtor und Planspitze oberhalb von Gstatterboden |
Nach Beendigung dieses dunklen Kapitels ging nach dem 2. Weltkrieg das Klettern im Gesäuse weiter. Neben bekannten Wiener Bergsteigern einer neuen Generation (Hubert Peterka, Fritz Kasparek, Hans Schwanda) führten nun zunehmend einheimische Kletterer schwere Erstbesteigungen durch, etwa Walter Almberger aus Hieflau, er eröffnete die Kletterroute "Berglandriss" (VI+, A3) am Dachl. Einer der erfolgreichsten war der Liezener Bergführer Klaus Hoi, u.a. mit der sogenannten "Hermann-Buhl-Gedächtnisführe" in der Dachl-Nordwand. In den Sechzigerjahren bildeten diese Schwierigkeiten (VI+, AE) das oberste Kletterniveau ab. Der Niederösterreicher Willi End wiederum ist abgesehen von seinen schweren Neurouten allen Gesäusebergsteigern durch seine unentbehrlichen Kletterführer ein Begriff. Nach meinem Informationsstand heißt die derzeit schwerste Kletterroute im Gesäuse "Diallo Díallo" durch die Zinödl Nordwand im unglaublichen 10. Schwierigkeitsgrad, auch europaweit ein Spitzenwert bei Alpintouren! Sie wurde 2003 durch Walter Kerndler und Robert Roithinger erstbegangen.
Ein verstecktes Juwel im Nationalpark: Der Hartelsgraben mit seinen Wildbächen |
Mich persönlich verbindet mit dem Gesäuse eine über 40-jährige Geschichte alpiner Erlebnisse mit vielen Felsklettereien, Höhlentouren und Klettersteig-Begehungen.
Planspitze-Nordwestwand |
Mein Nationalpark (1990): Durch fast hüfthohen Schnee wühlt sich unsere Gruppe aus 6 Höhlenforschern nach eingebrochener Dunkelheit zum Eingang der Stadelalm-Eiskluft empor. Wir wollen jetzt mitten im Winter die ganze Nacht in der Höhle verbringen, um die trockenen Verhältnisse zu nutzen und den tiefsten Punkt des Systems zu erreichen. Unzählige Sterne funkeln am winterlichen Himmel über dem dunklen Schatten des Hochtor-Massivs, als wir uns nacheinander in die schräg abwärts führende Eingangsspalte rutschen lassen. Die eingangsnahen Teile kenne ich bereits gut, ich habe sie Monate zuvor mit Helmut, Erich und Gerald zusammen vermessen. Schmale Klüfte mit Eisboden und helle, geräumige Gänge mit dazwischenliegenden Kletterstellen. Weiter unten wird die Befahrung anspruchsvoller, es folgen die Abseilstrecken in die tiefen Höhlenteile. Die Seile in den ersten, 30 bis 40 m tiefen Schächten hängen noch von der letzten Tour. Dann stehen wir am Einstieg des ersten unerforschten Abbruchs. Stefan schlägt einen Bohrdübel in den Fels und hängt das mitgeschleppte Seil ein. Dutzende Meter tiefer folgt ein riesiger, steil abfallender Höhlenraum und der nächste Schacht. Es ist staubtrocken jetzt im Winter, keine Bäche und Wasserläufe behindern das Weiterkommen. Stunden später, nach Überwindung eines eindrucksvollen 40 m tiefen Schachtes, stehen wir auf Lehmboden in einem Gang, der zusehends niedriger wird und schließlich in unkriechbaren Dimensionen versandet. Hier befinden wir uns am tiefsten bisher erreichten Punkt der Stadelalm-Eiskluft, mehr als 400 m unter dem Einstieg dieser wahrscheinlich ausgedehntesten Höhle im Gesäuse. Wir messen noch den letzten Winkel dieses Höhlenteils ein und machen uns dann an den Aufstieg. In der Morgendämmerung kriecht der erste aus dem schmalen Eingang. Nach kurzer Rast stapfen wir müde, aber glücklich nach erfolgreicher Tour, durch den tiefen Schnee zurück nach Johnsbach.
Mein Nationalpark (Juli 2023): Ursprünglich hatten Gabi und ich eine dreitägige Bergtour über die Hesshütte zum Hochtorgipfel geplant, doch durch die unsichere Großwetterlage wird daraus eine gemütliche Wanderung ins Haindlkar. Öffentlich angereist, entsteigen wir dem Bus an der Haltestelle Haindlkar. Auch nach so vielen Jahren und unzähligen Touren im Gesäuse ist der Anblick der imposanten Nordwände immer noch fantastisch. Vorerst führt der Wanderweg entlang dem Haindlkarbach empor, zweimal werden gewaltige Geröllfelder, die dieser Gebirgsbach bei unzähligen
Im Haindlkar |
Frühjahrs-Hochwässern geschaffen hat, überquert. Weiter oben treten dann all die berühmten Gesäuse-Nordwände ins Blickfeld: Haindlkarturm, Festkogel, Dachl, Ödstein. Auch der Blick in Richtung Norden bietet einiges. Der Große Buchstein ragt dominierend über dem Ennstal auf und sogar das winzig an seinem Wandfuss liegende Buchsteinhaus ist zu erkennen. Kurz vor der neuen Haindlkarhütte führt der Weg an der ursprünglichen, alten Hütte vorbei, die im Lauf von Jahrzehnten so vielen bekannten Erstersteigern Unterkunft gewährt hat. Wie schutzsuchend duckt sich das kleine alte Gebäude unter einem Felsblock. Das Gesäuse kann eben, abgesehen von seinen grandiosen Berglandschaften, auch ein wenig als eine Art Freilichtmuseum der ostösterreichischen Bergsteigergeschichte bezeichnet werden.
Das Gebiet: Das 16 km lange Durchbruchstal der Enns zwischen Admont und Hieflau, die mächtigen Gebirgskämme nördlich und südlich davon und die Seitentäler von Johnsbach und Radmer werden seit altersher als "Gesäuse" bezeichnet. Zu beiden Seiten des Flusses ragen steile Felswände empor. Den höchsten Punkt bildet der Gipfel des Hochtors mit 2369 m Seehöhe. Von dort zieht ein langer Felskamm nach Westen, aus dem die Gipfel von Planspitze, Roßkuppe, Haindlkarturm und Großem Ödstein herausragen. Der höchste Berg in der nördlichen Gesäusegruppe ist der Große Buchstein mit 2224 m, an den östlich der zackige Kleine Buchstein, die Teufelsmauer und der Tamischbachturm anschließen. Flankiert werden die Hauptgipfel von weiteren eindrucksvollen Bergen - im Osten der zweigipfelige Lugauer, im Westen der Admonter Reichenstein. Ein besonderes Juwel findet sich im selten besuchten "Hartelsgraben", der unweit von Hieflau nach
Die 130 Jahre alte Holzbringungsstraße im Hartelsgraben |
Süden zugänglich ist.: Ein wilder, felsiger Gebirgsgraben mit Wildbächen, Wasserfällen und urwaldähnlicher Vegetation, ein wirklich geheimnisvoller Ort. Hier wurde ab 1892 die erste Gebirgsstraße der Steiermark errichtet, um die 2,3 m langen "Holzblochen" zur Enns und weiter nach Hieflau zu transportieren, wo sie zu Holzkohle verarbeitet wurden. Auch heute sind der Straßenverlauf und die alten Trockensteinmauern im Hartelsgraben noch gut zu erkennen.
EINIGE BERÜHMTE GESÄUSEWEGE:
Wasserfallweg: Von der Bushaltestelle Kummerbrücke an der Enns führt dieser teilweise versicherte alpine Steig über die Wasserfall-Steilstufe teilweise ausgesetzt, aber landschaftlich großartig, zur Hesshütte empor. Für Ungeübte auf jeden Fall Selbstsicherung empfohlen. 1100 hm, gut 3h bis zur Hütte.
Peternpfad: Ein Kletterweg bis Schwierigkeitsgrad 2 unter den senkrechten Gesäusewänden inmitten der wilden Felsszenerie von der Haindlkarhütte hinüber zur Hesshütte oder auf die Planspitze. Nur erfahrene und trittsichere Bergsteiger gehen den Peternpfad seilfrei, sonst unbedingt im Seilschaftsverband. Der wahrscheinlich spektakulärste leichte Felsanstieg im Gesäuse.
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Südwandband-Klettersteig, 2019 |
Buchstein - Südwandband - Klettersteig: Ein relativ einfacher , durchgehend mit Drahtseilen zur Selbstsicherung versehener Klettersteig der Schwierigkeit B. Vom herrlich gelegenen Buchsteinhaus durch das schräge Bändersystem des Großen Buchsteins bis auf die Hochfläche und zum Gipfel (2224 m). Die gesamte Kletterzeit hat man die Hochtorgruppe gegenüber direkt vor Augen. Am Klettersteig kann auch abgestiegen werden, 4-5 h hin und zurück vom Buchsteinhaus. Nur mit Klettersteigset begehen!
Geologie, Flora und Fauna:
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Gämse am Großen Buchstein, 2019 |
Als Teil der nördlichen Kalkalpen besteht das Gesäuse aus Kalkgesteinen und Dolomiten. Das Wasser verschwindet bald im Untergrund und bildet zahlreiche Schächte und Höhlen, teilweise mit beachtlicher Tiefe und Ausdehnung. Bei Kletterern ist der Gesäusefels beliebt auf Grund seiner griffigen, wasserzerfressenen Struktur. Zahlreiche ausgedehnte Schutthalden zeugen von den permanenten Verwitterungsvorgängen. Das Bett der Enns wird hier als Kerbtal bezeichnet, der Fluss hat sich hier sein Bett zwischen den Gebirgszügen gefräst. Neben den typischen alpinen Waldgesellschaften sind in der Flora einige Besonderheiten bemerkenswert, etwa die hohe Vielfalt an Orchideenarten (Gelber Frauenschuh). Die Tierwelt erlebt der Wanderer und Kletterer oft in Form der Beobachtung von Gämsen, die zahlreich oberhalb der Waldgrenze vorkommen. Im benachbarten Nationalpark Kalkalpen wurden seit 2011 einige Luchse angesiedelt, die sich auch manchmal im Gesäuse aufhalten. 3 Paare des Steinadlers brüten hier im Nationalpark und in den Uferbereichen der Enns kommt ein seltener Watvogel vor: Der Flussuferläufer.
Ein Zug der Ennstalbahn in der Station Gstatterboden |
Das Besucherzentrum in Gstatterboden |
Die Website des Nationalparks ( nationalpark-gesaeuse.at ) ist übersichtlich und informativ, es können auch verschiedene Rangerführungen gebucht werden. In der Nähe des Weidendoms wird dem Besucher die Ökologie des Lebensraums Enns-Uferlandschaften auf einem wirklich interessanten Lehrpfad nähergebracht.
Öffentlich anzureisen ist grundsätzlich gut möglich. Am besten klappt das aus Wien an Samstagen, Sonn- und Feiertagen, wo die ÖBB den "Bergsteigerzug" ab dem Westbahnhof bis direkt nach Gstatterboden anbietet, das letzte Bahnstück mit der Ennstalbahn über Hieflau durch das Gesäuse ist wunderschön. (2023 teilweise als Schienersatzverkehr geführt). Die bereits 1872 erbaute Ennstalbahn (hier als Kronprinz-Rudolf-Bahn bezeichnet) bildete über Jahrzehnte die klassische Anreise für einige Wiener Bergsteigergenerationen in das Gesäuse und führt auch heute noch eng an der Enns unter den mächtigen Felswänden entlang durch die Gesäuseschlucht. Durch die Ausdünnung des Bahnverkehrs in den letzten Jahrzehnten werden heute die meisten Verbindungen während der Woche zwischen Hieflau und Admont durch Busse in ausreichenden Intervallen durchgeführt. Lediglich abzweigende Täler, wie das Johnsbachtal, sind nicht eingebunden, hier kann aber das "Gesäuse-Ruftaxi" in Anspruch genommen werden.
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