38. NATIONALPARK CAIRNGORMS , SCHOTTLAND , UNITED KINGDOM

 














In den Cairngorms liegt die Waldgrenze bereits bei 700 m Seehöhe, darüber breitet sich subarktische Tundra aus

Die tiefen Lagen beherbergen die letzten alten Kiefernwälder Schottlands


CAIRNGORMS NATIONAL PARK ,  UNITED KINGDOM

Countys : Highland und Aberdeenshire , Schottland

Größe:   3800 km2    Gegründet:   2003    Besucht:   März 2025

Mein Nationalpark , März 2025:  Wenn man heute vom "Central Belt" - dem schottischen Ballungsraum um Glasgow und Edinburgh - gegen Norden reist, sieht man bald durch das Zugfenster die ersten interessanten Berge auftauchen. Teils felsig, teils rundbuckelig  wecken sie die Vorfreude auf das Kommende. Die Hänge und die Täler dazwischen sind jedoch großteils baumlos und bestehen hauptsächlich aus Weideflächen für Millionen schottischer Schafe. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass der größte Teil Schottlands einst dicht mit mächtigen Kiefern bewaldet war. Bis zum Beginn der Neuzeit war es um die Wälder geschehen. Nur in den Cairngorm Mountains im Gebiet des heutigen Nationalparks in den zentralen Highlands gibt es ihn noch, den Kaledonischen Kiefernwald, hier kann man noch erahnen, wie ganz Schottland einst aussah. 
Ein namenloses "Loch" am Weg





Seit einer Stunde, als ich bei Coylumbridge aus dem Bus gestiegen bin, gehe ich nun durch dichten Wald. Ich möchte bis zum Loch Eaneich wandern, einem entlegenen See an einem Berghang mitten in der Einsamkeit.  In Wanderforen habe ich diesen Weg entdeckt, wo er als sehr lohnend beschrieben wird. Über 4 Stunden Gehzeit pro Strecke sind  angegeben, was mich zugegebenermaßen doch etwas verunsichert. "Please do not leave the hiking trail!" ermahnen Schilder am Wegrand. Das würde man als Naturfreund ohnehin nicht wollen. Zwischen den knorrigen, moosbehangenen Stämmen der Kaledonischen Kiefern wächst prächtiges dichtes Heidekraut, dazwischen sind sumpfige Stellen zu erkennen, hohe Farne wuchern überall - ganz sicher ein empfindliches Ökosystem. Dann schraubt sich der Pfad einen Hang empor und lässt den Wald hinter sich zurück. Schließlich ist die Hochfläche erreicht, wo sich braungrüne subalpine Tundraflächen ausbreiten - welch ein Gegensatz zur Landschaft hinter mir. Hier oben pfeift eisiger Wind. Die Wanderroute windet sich zwischen kahlen Hügeln und durch Eiszeitgletscher abgeschliffenen Bergkuppen in stetigem Auf und Ab dahin. Laut Karte habe ich erst den halben Weg geschafft, ich muss mich ein wenig beeilen. Im Osten schimmert die verschneite Spitze des Ben Macdui zwischen den tief  hängenden Wolken. Mit 1309 m erreicht seine Gipfelhöhe nach dem Ben Nevis den zweiten Platz im Vereinigten Königreich. Ein korpulenter Radfahrer überholt mich schnaufend, obwohl sein E-Bike hörbar auf höchster Unterstützungsstufe schnurrt.  Hinten am Rad flattert eine kleine englische Flagge im Wind, möglicherweise eine diskrete Provokation hier im Herzen Schottlands? 
Düster, grandios und absolut einsam ist diese Landschaft.  Einst war es auch das Land der schottischen Highland-Clans. Hier befand sich beispielsweise das Stammesgebiet des "Mc Pherson"-Clans, wenn die Broschüre des Nationalparks recht hat.  Das englische Wort clan kommt vom gälischen "clann" , das soviel wie Stamm, Familie, Abkömmlinge bedeutet. Das Oberhaupt war der "Chief", oberster Richter und Heerführer.  Die einzelnen clans führen ihren Ursprung auf mythisch-legendäre Figuren aus uralten keltischen Zeiten zurück. Als in den südlichen Lowlands im 12. Jahrhundert das aus England stammende Feudalsystem die alten Strukturen ersetzte, hielten sich die clans in den nördlichen Highlands weiterhin an der Macht, auch weil ihre Stammesgebiete unzugänglich und schwer zu kontrollieren waren. Bei den diversen Kriegsgeschäften der schottischen Könige unterstützen manche clans den Herrscher, andere wieder verbündeten sich mit dem jeweiligen Gegner. Insgesamt eine komplizierte Geschichte, der sich das "MacPherson-Clan-Museum" im Örtchen Newtonmore ausgiebig widmet.
Heute besitzen die Clans keine politische Macht mehr, aber es gibt sie noch. Alljährlich im Sommer erscheinen die "Chiefs" in traditioneller Tracht bei den berühmten Highland-Games, wo Sportarten wie Baumstamm-Werfen und Tauziehen am Programm stehen.






Endlich sind die Ufer des Loch Eaneich erreicht. Karge Bergrücken und sumpfige Wiesen anstelle von Bäumen umrahmen den stillen kleinen See. Der breite Weg endet hier, ein undeutlicher Pfad führt noch ein Stück weiter am morastigen Ufer entlang. Ein einsamer Wanderer winkt mir aus der Ferne kurz zu, um sich dann wieder der Naturarena zuzuwenden. Ich lasse mich auf einen feuchten Felsblock sinken und mache für eine Weile dasselbe. Der Rückweg geht um einiges schneller, es bleiben noch mindestens drei Stunden Tageslicht, und so lockt mich Wegweiser im Wald ein Stück vor Coylumbridge  in Richtung "Loch Morlich", dem größten Gewässer des Nationalparks. Der Trail überquert ein Flüsschen mit dem unaussprechlichen keltischen Namen "Alt Na Beinne Moire" über eine alte gusseiserne Brücke.
Ein Schild am Geländer informiert den Wanderer darüber,  dass der "Aberdeen Cairngorm Club" diese Brücke im Jahr 1912 mit Hilfe vieler "bergliebender Freunde" errichtete. Ein Relikt aus jener Zeit, als britische Bergsteiger am Kontinent zu den ersten Erschließern der alpinen Bergwelt zählten und hier in Schottland, gerade auch in den Cairngorms, ein sehr spezielles und sehr britisches Steckenpferd seinen ersten Höhepunkt erfuhr: "Munro - Bagging".  Sir Hugh T. Munro fertigte im Jahr 1891 eine Liste aller schottischen Erhebungen über 3000 Fuss (914,4 m) an und bestieg diese in Folge systematisch, bis er im Laufe der Zeit den letzten "Munro" abgehakt hatte. Er fand bis heute viele Nachahmer, so existiert eine eigene Website mit einer stets aktualisierten Online-Liste , wo sich jedermann registrieren kann. So weiß stets die gesamte Munro - Community, wer bereits wie viele Munros bestiegen hat. Es gibt insgesamt 282 davon, der höchste ist natürlich Großbritanniens Nr.1 : Der Ben Nevis. 
"Munro-Bagging" bedeutet  so viel wie "Munros einsacken". Wikipedia zählt Munro bagging neben Rugby, Golf und Fußball zu den populärsten Sportarten in Schottland.   So was von "very british", und dabei handelt es sich nicht mal um einen Gag von Monty Python . 
(Übrigens: Ich habe am folgenden Tag bei Hundewetter auch meinen ersten Munro "eingesackt": Cairn Gorm Mountain, nach dem die gesamte Berggruppe benannt ist, immerhin sechsthöchste Erhebung Großbritanniens.  Ein einfacher Wanderberg mit elendslangem Zustieg, aber mit 1245 m Gipfelhöhe und was noch viel wichtiger ist: 4084 Fuß!  Done!)
Am Loch Morlich











Eine halbe Stunde später trete ich aus dem Wald in eine riesige, hunderte Meter weite Lichtung hinaus - zumindest erscheint es anfangs wie eine solche. Doch hier liegen überall große Mengen verkohlter Stämme zu Haufen geschlichtet, dazwischen ragen einzelne Baumleichen in die Höhe. Ganz offensichtlich die Überreste eines gewaltigen Brandes, der hier vor nicht allzu langer Zeit gewütet haben muss. Die derzeit alles durchdringende Feuchtigkeit lässt nicht unmittelbar an Waldbrände denken, dennoch stellen diese in Schottland eine permanente Bedrohung dar.  Im Frühsommer 2024 wurde in den Medien von einem Rekord-Brand in der Nähe von Loch Ness berichtet, der sogar vom All aus zu sehen war. Am Loch Morlich ist von dieser Apokalypse nichts mehr zu bemerken. 
Mächtige Kiefern säumen malerisch seine Ufer, Campingplätze, Hotels und Wassersportangebote kennzeichnen ihn als Touristenzentrum. Dennoch ist dieser Platz nach wie vor idyllisch. Ich habe immer noch nicht genug und hänge in der Dämmerung einen Spaziergang durch die "Glennmore Forest Reserve" zum "Lochan Uaine" an, einer weiteren Perle der Highlands als Finale dieses langen Tages. 
Am An Lochan Uaine

  

Bewertung: 

Größe:  9
Bedeutung/Umweltschutz:   7
Highlights:   8
Wildnis - Feeling:   7
Service:   3
Öffis:   9

Meine Bewertung:    7 , 1

Das Gebiet:  Dieser Nationalpark ist in vieler Hinsicht bemerkenswert. Einerseits natürlich durch seine Größe von über 3800 km2, nur wenig kleiner als das Burgenland. Abseits der wenigen Touristenzentren lässt sich überall die wilde, einsame Natur erleben, und er ist gespickt mit landschaftlichen Höhepunkten. Eines der Highlights sind die Kaledonischen Kiefernwälder, deren letzte Reste zu 90 % innerhalb des Schutzgebietes liegen. Diese Baumart stammt von den ersten Kiefergewächsen ab, die nach der letzten Eiszeit hier im Norden der Britischen Inseln Fuss 
fassten. Der schottische Nationalbaum zeichnet sich durch rötliche Rinde, blaugrüne Nadeln und knorrige Äste aus.  Teile der Äste wurden als traditioneller Schmuck an Hüten und Jacken der Highland-Clans getragen. Dazwischen breiten sich Heidelandschaften und Moore aus, über der Baumgrenze findet man tundra-ähnliche Vegetationsformen. 
Moorhühner und Auerhähne, Wildkatzen und Hirsche leben in diesem Ökosystem,  eine Herde halbwilder Rentiere wurde hier angesiedelt.  
Die bedeutendsten Orte im Nationalpark sind Aviemore und Kingussie im Westen sowie Ballater im Osten. Unweit davon steht auch Balmoral Castle , bis heute Sommersitz der britischen Royals.  In diesem Schloss verstarb am 8. September 2022 Queen Elisabeth II. 

Ein Zug von ScotsRail in Aviemore
Öffentliche Anbindung und Service:  Für öffentlich Reisende geht es im Cairngorm National Park beinahe wie im Paradies zu.  Aus Glasgow oder Edinburgh gelangt man mit ScotsRail alle zwei Stunden nach Kingussie sowie Aviemore und zwei hier ebenfalls halt machende Zugpaare verbinden London täglich mit Inverness, darunter auch der berühmte und komfortable "Caledonian sleeper".  Vom Bahnhof in Aviemore starten viele Lokalbusse, das für den Park maßgeblichste Service ist die Nr. 30 von Stagecoach nach Coylumbridge,  Glennmore und Cairn Gorm Car Park, alles vorzügliche Ausgangspunkte für herrliche Wanderungen.  Vom Campingplatz am Loch Morlich bis zum altehrwürdigen Hotel Cairngorm in Aviemore gibt es eine hohe Bandbreite an Unterkünften. Billig ist hier allerdings kaum etwas, schließlich befindet man sich in Großbritannien. Das Park-Service ist überschaubar, die Wege sind kaum bis gar nicht markiert, man sollte deshalb immer eine Karte mit sich führen.  
Balmoral Castle (Bild: Internet)






 

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